Systemkosmetik oder Radikalreform

Von Walter Schütz · · 1999/11

Im Gegensatz zur Anti-MAI-Bewegung existiert keine geschlossene Front gegen den WTO-Prozeß.

Nicht zuletzt einem Aufschrei einer breiten Koalition innerhalb einer weltweiten „kritischen Öffentlichkeit“ war es zu verdanken, daß die Verhandlungen über das Multilaterale Abkommen über Investitionen (MAI) 1998 ergebnislos abgebrochen wurden. Dieses hätte Investoren eine praktisch unbeschränkte, verfassungsrechtlich garantierte Operationsfreiheit verschafft. Daß eine solche breite Koalition entstehen konnte, war vor allem auf Fehler der damaligen Verhandlungsführer in der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zurückzuführen: Zu offensichtlich war das Bemühen, ein hinter verschlossenen Türen fertig verhandeltes Abkommen durchzudrücken. Zu offensichtlich war die Grundintention, daß eine zahlenmäßig kleine Gruppe ihre Interessen durchsetzen wollte.

Eineinhalb Jahre später steht die Millennium-Runde der WTO ins Haus. Wieder wird versucht, durch eine umfassende Agenda einen Prozeß zu vertiefen, der sich in seiner grundsätzlichen Ausrichtung nicht wesentlich von den Intentionen des MAI unterscheidet. Es geht um die Festschreibung einer neoliberalen Weltwirtschaftspolitik mit all ihren Konsequenzen. Im Unterschied zum MAI ist diesmal aber von einer geschlossenen Front der Ablehnung keine Spur, weder global noch in Österreich.

Stattdessen lassen sich in Österreich (und auch anderswo) zwei Strömungen unterscheiden: die Gruppe der „ReformerInnen“ und die einer grundsätzlichen Kritik der WTO.

Für die ersteren ist die zentrale Forderung jene nach verbindlicher Implementierung der „Kernarbeiterrechte“ gemäß den Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Es sind dies unter anderem das Verbot von Kinderarbeit, der Zwangsarbeit, das Recht auf Gründung von Gewerkschaften und auf Kollektivvertragsverhandlungen. So wichtig diese Forderungen für die Menschen in einzelnen Länder sein mögen, so muß dennoch der Rahmen beachtet werden, innerhalb dessen diese Mindeststandards umgesetzt werden sollen: Die eigentliche Stoßrichtung der WTO mit ihren Grundpfeilern Deregulierung, Liberalisierung und „Nichtdiskriminierung“ wird damit nicht angetastet.

Selbst wenn diese Forderung erfolgreich durchgesetzt werden sollte, liefe dies darauf hinaus, innerhalb eines neoliberalen Globalisierungsprozesses lediglich eine Art unterstes Limit einzuziehen. Oder anders ausgedrückt: Das Recht, Gewerkschaften gründen zu dürfen, ist unter neoliberalen Bedingungen eine „Demokratisierung der Machtlosigkeit“ – denn genau durch die offenen Märkte fehlt den Gewerkschaften der Rahmen, innerhalb dessen sie etwa ihre kollektivvertraglichen Regelungen durchsetzen können.

Neben diesen an Reformen innerhalb der WTO orientierten NROs und Gewerkschaften ist im Vorfeld der WTO-Ministerkonferenz in Seattle ein loses Netzwerk an Initiativen aktiv, dessen Kritik an der WTO und dem dahinterstehenden Ansatz viel grundsätzlicher ist.

Zentrale Forderung dieses Netzwerkes ist ein Moratorium: In einer Nachdenkpause soll Zeit gewonnen werden, um die Wirkungen einer deregulierten Ökonomie zu überprüfen, Alternativen zu entwickeln und so zu einem Regelwerk zu kommen, das eine Steuerung der Wirtschaft in Richtung Sozial- und Umweltverträglichkeit ermöglichen würde.

Eine Realisierung dieser Forderung wäre wesentlich mehr als eine bloße Reform der WTO. Vielmehr würde die WTO zurechtgestutzt, ihr Aufgabenbereich anderen Vereinbarungen untergeordnet und die gesamte Grundausrichtung der WTO geändert.

Ebenso wichtig wie die inhaltlichen Konsequenzen, die sich aus einer solchen Nachdenkpause ergeben, wären die Rückwirkungen auf die bisherige Verfahrensweise: Seit Jahren üben internationale Lobbyverbände und elitäre Diskussionszirkel wie der European Round Table of Industrialists (ERT), der TABD (Trans-Atlantic Business-Dialogue), das Weltwirtschaftsforum in Davos und andere einen extremen Druck in Richtung Deregulierung und Liberalisierung aus. Durch ein Moratorium könnte auch Druck aus dieser unseligen Dynamik genommen werden.

Diese Forderung nach einem Moratorium wurde mittlerweile von über 1000 Organisationen weltweit unterzeichnet.*)

Das Netzwerk besteht aus dem ehemaligen Kern der MAI-GegnerInnen und ist in sich sehr heterogen:

Ein wichtiges Element bildet der Zusammenschluß PGA – „Peoples Global Action against Free Trade and WTO“. Dieses Netzwerk hatte seinen ersten großen Auftritt im Mai 1998 anläßlich der WTO-Tagung in Genf. Zu den tragenden Gruppen gehören indische Bauernverbände, die insbesondere gegen eine Liberalisierung des Agrarmarktes auftreten. Grundlegende Ausrichtung von PGA ist die Orientierung am Subsistenzsektor.

Eine zentrale Rolle spielt auch Friends of the Earth (FOE), ein weltweiter Dachverband von Umweltschutzorganisationen. Ein Hauptanliegen der europäischen FOE-Koordination ist es, ein Investitionsabkommen im Rahmen der WTO nach dem Muster des MAI zu verhindern.

Innerhalb des kirchlich-ökumenischen Rahmens ist die Initiative KAIROS stark engagiert. In einem mehrjährigen Prozeß haben VertreterInnen aus der Karibik, Afrika und Europa ein Forderungspapier erarbeitet, das im Oktober dem EU-Parlament übermittelt wurde. Kern dieses Papiers ist eine Doppelstrategie: Einerseits soll die Weltwirtschaft – insbesondere der Finanzsektor – neu reguliert werden. Die vorgeschlagenen Maßnahmen reichen von der Tobin-Steuer über ein internationales Insolvenzrecht bis hin zu einer grundlegenden Neuausrichtung der WTO, etwa im Bereich der Landwirtschaft.

Dieser geänderte Rahmen auf globaler Ebene ist Voraussetzung für die Realisierung des zweiten Standbeines der Doppelstrategie: Die soziale Spaltung innerhalb Europas soll nach den Vorstellungen von KAIROS durch Arbeitszeitverkürzung, den Kampf gegen ungesicherte Arbeitsverhältnisse und andere Maßnahmen verringert werden.

Walther Schütz ist Vorstandsmitglied von Bündnis für Eine Welt/ÖIE und arbeitet zur Zeit beim Kärntner Armutsnetzwerk

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